Schadensersatz wegen Hörschadens nach Diskobesuch

OLG München, Urteil v. 23.10.2006 - 17 U 3944/06

Schadensersatz wegen Hörschadens nach Diskobesuch

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Während eines ausgelassenen Partyabends in der Disko erlitt die spätere Klägerin einen Hörschaden. Daraufhin machte sie sowohl gegen den Betreiber der Diskothek als auch den DJ selbst einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus §§ 823, 847 BGB a.F.. Zwar bestätigte das OLG München dem Grunde nach eine Haftung der beiden, jedoch hätten sowohl der Betreiber der Disko als auch der DJ nicht ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Insbesondere sei die Gefährlichkeit der beanstandeten Tonfrequenz für das menschliche Gehör für den DJ nicht erkennbar gewesen.

Der von der Klägerin erlittene, fortdauernden Tinnitus, ließ sich nach ihrer Aussage auf eine überhöhte Lautstärke des in der Diskothek gespielten Liedes „Cold as Ice“ zurückführen. Sie machte Schadensersatzansprüche geltend. So forderte sie konkret Ersatz für eine hyperbare Sauerstofftherapie i.H.v. 1600 EUR, welche ihre Krankenkasse nicht übernahm, ebenfalls verlangte sie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz von künftigen materiellen als auch immateriellen Schäden. 

Die Beklagten bestritten die Vorwürfe der Klägerin, da die Musik zu keiner Zeit in einem unerträglichen hohen Bereich gewesen wäre, ferner lägen ihnen auch keinerlei weitere Beschwerden vor. Die verwendete Musikanlage sei des Weiteren schon vielfach auch in anderen Diskotheken zum Einsatz gekommen. Daher hätten sie ihre Verkehrssicherungspflicht – zumindest nicht schuldhaft – verletzt.

Der Diskothekenbetreiber führte an, für ihren ordnungsgemäß ausgesuchten und überwachten DJ nicht einstehen zu müssen.

Der DJ selbst trug vor, es sei nicht zu erwarten, dass ein Diskjockey Kenntnis darüber habe, dass die Hochtonlastigkeit eines Liedes gesundheitsgefährdend sein kann. Auch sei nicht zu erwarten, dass er von jedem einzelnen Lied die genauen Frequenzphasen kenne.

Beide Beklagten hielten die  hyperbaren Sauerstofftherapie nicht für die richtige Therapieform und hielten das verlangte Schmerzensgeld von 4500 EUR für überzogen.

Das Landgericht gab der Klage statt, da es von einer Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten ausging. Dem lag ein eingeholtes Sachverständigengutachten zugrunde, dass das Abspielen des Liedes „Cold als Ice“ nicht nur möglicherweise, sondern sogar wahrscheinlich die Ursache des von der Klägerin erlittenen Hörschadens sei.

Dagegen legte die Beklagte Berufung ein, welche jedoch vom Oberlandesgericht München abgewiesen wurde.

Einig waren die beiden Gerichte im Hinblick auf die Pflicht des Veranstalters und des jeweiligen Verantwortlichen, welche eine Gefahrenquelle schaffen, geeignete Maßnahmen zu treffen, um das in ihrer Macht stehende zu veranlassen, um die Besucher vor Hörschaden zu schützen.

Jedoch war das OLG im Gegensatz zum LG nicht der Meinung, dass die Diskothekenbetreiberin durch organisatorische bzw. der Diskjockey durch technische Maßnahmen hiergegen verstoßen habe.

Unter Bezugnahme des Sachverständigengutachtens ging der erste Senat von der ordnungsgemäßen technischen Ausstattung der verwendeten Musikanlage aus. Diese sei zudem auch vorsorglich mit einem blockierenden Blech ausgestattet worden, sodass eine versehentliche Steuerung der Lautstärkeregelung von vorneherein ausgeschlossen worden sei.

Das OLG hielt eine allgemeine Kenntnis eines Diskjockeys von möglichen Gefahrensituationen für Besucher aufgrund von Lautstärke oder sonstigen Gegebenheiten zwar für erforderlich. Gleichzeitig erkannte es allerdings an, dass es wohl nicht erwartbar sei, dass selbst ein qualifizierter Diskjockey alle Musikstücke, welche er abspielt, so gut kennt, dass er bereits vor dem Anspielen die konkreten Tonfrequenzen berücksichtigen kann.

Nach der Auffassung des LG sei ein Diskjockey verpflichtet, sich jederzeit vollkommen auf das jeweilige gespielte Musikstück zu konzentrieren, sodass er sich weder mit Dritten unterhalten noch mit dem nächsten abzuspielenden Lied beschäftigen dürfe. Des Weiteren müsse einem Diskjockey die genaue Tonfrequenz des Liedes „Cold as Ice“ und deren für das menschliche Ohr unbedenkliche und auch gefährliche Zeitspannen genau bekannt sein.

Der Senat dagegen erkannte an, dass ein Diskjockey in der Praxis nicht rein auf das Abspielen der Lieder konzentriert sein könne. Auch der beklagte Diskjockey erklärte in der mündlichen Verhandlung er sei mit dem Ausblenden des vorherigen Liedes und dem Einspielen des Neuen Liedes beschäftigt gewesen. Darüber hinaus sah der Senat nicht, wie ein Diskjockey über das sowohl technische als auch medizinische Fachwissen verfügen solle, um die für das menschliche Gehör gefährlichen (16,4 Sekunden) und unbedenklichen  (12,9Sekunden) Zeitspannen des streitgegenständlichen Liedes einschätzen zu können. Diese Erwägungen seien in die Verantwortungsmöglichkeit eines Diskjockeys miteinzubeziehen.

Dementsprechend könne er gerade dann nicht verantwortlich sein, wenn allenfalls ein Sachverständiger nach Durchführung einer Reihe von Tests die Gefährlichkeit der beanstandeten Tonfrequenz für das menschliche Gehör hätte erkennen können. Einem Diskjockey obliegt lediglich sein subjektives Empfinden und eine individuelle Reaktionszeit, um reagieren zu können. Unter Würdigung der Gesamtumstände in einer Diskothek belaufe sich diese Reaktionszeit lediglich auf wenige Sekunden, welche zudem innerhalb ihrer Einhaltung von einer Vielzahl von Zufällen abhängig ist. Im Ergebnis könne daraus kein Vorwurf gefolgert werden.