Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit

BverfG, Beschluss v. 01.12.2021 - 1 BvR 2708/19

Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit bei Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorangegangene Anhörung

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Die Beschwerdeführerin hatte mit ihrer Verfassungsbeschwerden wegen einer fehlenden Anhörung in einem Presserechtsverfahren vor dem BVerfG Erfolg. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung, verstoße gegen die prozessuale Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Das BVerfG hatte diesbezüglich bereits mehrfach entschieden und wies in dem Zusammenhang noch einmal eindrücklich auf die rechtliche Bindungswirkung seiner bereits im Jahr 2018 ergangenen Entscheidungen hin.

Denn schon im Jahr 2018 machte das BVerfG in zwei Leitentscheidungen (Beschl. v. 30.09.2018, Az. 1 BvR 1783/17; 1 BvR 2421/17) deutlich, dass auch der Gegenseite in solchen Fällen das Recht auf Gehör gewährt werden müsse, das gebiete schon das Recht auf prozessuale Waffengleichheit.

Ohne Rücksicht auf diese beiden Beschlüsse entschied das OLG Hamburg weiter nach der bis 2018 gängigen Rechtspraxis und erließ eine Unterlassungsverfügung gegen die spätere Beschwerdeführerin ohne eine vorherige Anhörung desselbigen.

Hintergrund war ein Interview, welches die Beschwerdeführerin veröffentlichte, in dem unter anderem die Antragstellerin des Ausgangsverfahren erwähnt wurde. Aufgrund dieser Berichterstattung mahnte die Antragstellerin die Beschwerdeführerin zunächst mit anwaltlichem Schreiben erfolgslos ab.

Im Anschluss stellte die Antragstellerin beim LG Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung. Der Unterlassungstenor entsprach der zuvor außergerichtlich erfolglos geforderten Unterlassungserklärung. Das Gericht informierte die Antragstellerin über die nach vorläufiger Beratung fehlenden Erfolgsaussichten. Daraufhin wurde der Antrag durch die Antragstellerin umformuliert und um zwei Hilfsanträge ergänzt, welche jedoch ebenfalls zurückgewiesen wurden.

Sodann erhob es eine Beschwerde beim OLG Hamburg, welches darauf hinwies, dass es nur einem bestimmten Antrag stattgeben werde. Die restlichen Anträge wurden von der Antragstellerin zurückgenommen. Die einstweilige Unterlassungsverfügung wurde vom Oberlandesgericht aufgrund „der Dringlichkeit wegen ohne mündliche Verhandlung“ gegen die Beschwerdeführerin erlassen.

Die legte daraufhin Verfassungsbeschwerden ein, welche sie mit der Verletzung der prozessualen Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG begründete. Das BVerfG sah dieses Recht der Beschwerdeführerin tatsächlich verletzt. Eine Ausprägung des Grundsatzes der Waffengleichheit sei der Gehörsgrundsatz. Davon umfasst sei der Gegenseite in einem gerichtlichen Verfahren grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Eine solche Anhörung sei nur in wenigen Ausnahmefällen entbehrlich.

Eine Ausnahme bestehe in einem solchen presserechtlichen Prozess, wenn die Gegenseite bereits durch die Abmahnung eine Möglichkeit der Erwiderung erhalten habe. Sofern von dieser Gebrauch gemacht wurde, müsse diese Erwiderung dem Gericht zudem vorliegen. Grundsätzlich sei die Voraussetzung dabei allerdings, dass die Abmahnung und der beim Gericht eingereichte Unterlassungsantrag übereinstimmen.

Wenn jedoch der Antrag anders als in der Abmahnung oder durch einen ergänzenden Vortrag begründet wird, müsse die Gegenseite angehört werden. Das gelte insbesondere dann, wenn dem Antragsteller durch das Gericht Hinweise i.S.d. § 139 ZPO erteilt werden, von denen die Gegenseite nicht oder erst nach de Erlass der sie benachteiligenden Entscheidung erfährt.

Im vorliegenden Fall habe eine vorprozessuale Abmahnung stattgefunden, deren Begründung aufgrund wesentlicher Änderung allerdings nicht mehr mit der des Verfügungsantrags übereinstimme. Zudem habe die Antragstellerin durch die ergangenen gerichtlichen Hinweise mehrfach die Möglichkeit der Abänderung ihres Antrags gehabt. Während die Antragstellerin also mit dem Ziel ein für sie positives Verfahrensergebnis zu erreichen mehrfach und flexibel nachsteuern konnte, hatte die Beschwerdeführerin keinerlei Möglichkeit, um auf die veränderte Sach- und Streitlage zu reagieren. Durch den Erlass der einstweiligen Verfügung ohne eine vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin sei eine Gleichwertigkeit ihrer prozessualen Stellung gegenüber dem Verfahrensgegner gerade nicht gewährleistet.

Bis zum Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung des OLG hatte sie nicht einmal Kenntnis von dem gegen sie geführten Verfahren. Zumindest das OLG hätte der Beschwerdeführerin eine Möglichkeit der rechtlichen Stellungnahme zu den veränderten Anträgen durch eine Anhörung gewähren müssen.

Zuletzt weist das BVerfG aufgrund bereits mehrfacher Verstöße gegen das Gesetz der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen durch Pressesenat des OLG noch einmal ganz deutlich auf die rechtliche Bindungswirkung seiner bereits 2018 ergangenen Entscheidungen hin.